Durch die Veröffentlichung der Softwareanwendung ChatGPT hat das Thema künstliche Intelligenz (KI) weltweit Schlagzeilen gemacht. KI-Anwendungen haben auch den Weg in die Klassenzimmer gefunden. Viele Lehrkräfte setzen diese Werkzeuge bereits im Unterricht ein und machen gute Erfahrungen damit. Sie sehen aber auch Gefahren.
Kurz nachdem Ende 2022 ChatGPT der breiten Öffentlichkeit präsentiert wurde, haben viele Jugendliche die neue Technologie für sich entdeckt und für die Schule genutzt. Denn die neuartige Software kann Informationen recherchieren, ganze Aufsätze und Facharbeiten schreiben, Referate vorbereiten, Gedichte analysieren oder ein Buch zusammenfassen – und die Maschine macht das so gut, dass die Ergebnisse nicht von menschlich geschriebenen Texten zu unterscheiden sind. Durch den Chatbot, der künstliche Intelligenz (kurz KI) einsetzt, scheint sich das Lernen und Lehren an Schulen grundlegend zu verändern.
Zahlreiche Möglichkeiten durch KI im Unterricht
Nach der Veröffentlichung von ChatGPT waren viele Lehrkräfte zunächst entsetzt und fragten sich: Sind Hausaufgaben überhaupt noch zeitgemäß? Wie wollen wir Leistungen überprüfen, wenn Fachwissen zukünftig so leicht verfügbar ist? „Unbedingt verbieten“, forderten einige. Andere wiesen auf die zahlreichen Möglichkeiten hin, die KI-Anwendungen im Unterricht bieten. Viele Lehrkräfte haben sie seitdem in ihren Unterricht aufgenommen – vor allem texterstellende KI-Instrumente wie ChatGPT. „Sie sinnvoll in den Unterricht zu integrieren, ist für mich der richtige Umgang“, sagt Manuel Flick. Er unterrichtet Wirtschaft an einem Oberstufenzentrum in Berlin und hat sich viel mit KI-Anwendungen im Schul- und Unterrichtskontext beschäftigt. Er wirbt dafür, Regeln zu deren Nutzung zu vereinbaren und auch mit Schülerinnen und Schülern einzuüben, wie sie die KI-Dienste richtig nutzen. Deshalb hat er einen ChatGPT-Guide für Lehrkräfte geschrieben und gibt Fortbildungen an Schulen.
Wie wird die künstliche Intelligenz das Lernen in Zukunft verändern? „Lernen wird wesentlich individueller“, sagt Manuel Flick. „Die KI kann zum Beispiel jeder Schülerin und jedem Schüler passende Aufgaben liefern, genau auf dem Schwierigkeitsgrad, der gerade benötigt wird.“ Außerdem könne sie auch Lernprozesse begleiten. „Immer wieder Feedback geben, die nächsten Lernschritte vorschlagen oder auch Schreibprozesse unterstützen, indem sie als Inspirationsquelle dient oder bei der Gliederung von Texten hilft.“
Herr Flick, Sie sagen, die KI verändert in Schulen nicht nur, wie gelernt, sondern auch was gelernt wird. Wie meinen Sie das?
Wo sehen Sie Probleme, wenn Schülerinnen und Schüler KI verwenden?
Sie setzen KI auch selbst im Unterricht ein. Haben Sie dafür ein Beispiel?
KI-Projekt an der Deutschen Schule im Silicon Valley
Schülerinnen und Schüler werden künstliche Intelligenz zukünftig nicht nur beim Lernen nutzen, sondern auch viel über KI lernen – am besten beides gleichzeitig. So wie im interdisziplinären KI-Projekt an der German International School of Silicon Valley in den USA. Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse lernen darin erst allgemeine Grundlagen zu künstlicher Intelligenz und wenden sie dann an: In einer Projektwoche entwickeln sie in Gruppen Ideen für Start-Ups, die ein komplexes Problem mithilfe von KI lösen. Vor fünf Jahren gestartet, wurde das Projekt 2023 im Auslandsschulwettbewerb „Schüler bauen weltweit Brücken“ der Deutschen Industrie- und Handelskammer (IHK) mit dem ersten Preis ausgezeichnet.
Für die Lösung des Problems betrachten die Jugendlichen künstliche Intelligenz aus wirtschaftlicher, ethischer und technischer Sicht. „Sie sollen sich eine Person vorstellen, die ihr Produkt benutzen könnte und für die das Problem gelöst wird“, sagt Martin Lentzen, Koordinator für digitale Unterrichtsentwicklung und Leiter des Projektes. „Das muss ganz konkret sein: Welche Hobbys hat die Person? Welche Sprachen spricht sie? Wie sieht ihr typischer Tag aus?“ Die Jugendlichen bekommen im Prozess viele Male Feedback und feilen immer weiter an ihrer Idee, so dass sie immer besser wird.
Herr Lentzen, wie ist es zu dem Unterrichtsprojekt zur künstlichen Intelligenz gekommen?
In der Projektwoche wird künstliche Intelligenz aus drei Perspektiven betrachtet. Welche sind das?
Eine Gruppe beschäftigte sich zum Beispiel mit ernährungsbedingten Krankheiten und entwickelte eine Idee für ein Start-up, das mithilfe von KI Ernährungs-informationen sammelt und personalisierte Rezepte für gesunde Gerichte empfiehlt. Dazu entwarfen die Jugendlichen einen hypothetischen Algorithmus, ohne ihn tatsächlich zu programmieren. Denn dafür reiche die Zeit nicht, so Lentzen. „Es gab aber schon Gruppen, die über die Projektwoche hinaus einen Prototypen entwickelt haben, der auf der Basis von ChatGPT 3 funktioniert hat.“
Auch im regulären Fachunterricht setzen die Lehrkräfte manchmal KI-Anwendungen ein. „Wir haben eine KI-Taskforce gegründet, in der wir Regeln beschlossen haben, wie KI benutzt werden darf“, sagt Martin Lentzen. So sei der Einsatz von KI zum Beispiel für Feedback erlaubt oder auch, um Teile von Texten zu schreiben. „Momentan experimentieren wir noch damit.“
Wann wäre KI für Sie ein Problem?
Für Lehrkräfte können KI-Werkzeuge eine große Arbeitserleichterung für die Unterrichtsvorbereitung sein – zum Beispiel, wenn es darum geht, Übungsmaterial für das Deutsche Sprachdiplom (DSD) I und II zu erstellen. Kathrin Drygala de Oliveira arbeitet für die Zentralstelle für das Auslandsschulwesen als Fachberaterin für Deutsch in Stockholm. Sie betreut 17 Schulen, die das DSD I und II anbieten. Für die Vorbereitung auf diese Prüfungen benötigen Lehrkräfte viel Übungsmaterial, das speziell auf das DSD zugeschnitten sein sollte. Durch KI-Dienste ist die Erstellung solcher Materialien jetzt viel einfacher geworden.
Chatbot erstellt Arbeitsmaterialien
Kathrin Drygala de Oliveira hat zum Beispiel Prompts für ChatGPT entwickelt, mit deren Hilfe die Deutschlehrkräfte eigenständig und schnell Übungstests erstellen können. Das ist möglich, weil Version 4 von ChatGPT mit eigenem Material gefüttert werden kann und weil das Format der DSD-Prüfungen genormt ist. „Ich kann dem Chatbot erklären, wie das Prüfungsformat aussieht und dass er auf dieser Basis Übungen erstellen soll“, sagt Kathrin Drygala de Oliveira. „Außerdem kann ich ihm sagen: Nimm kein Material aus dem Internet, sondern nur das, was ich dir gebe.“ So könne ChatGPT 4 zum Beispiel lernen, was der Europäische Referenzrahmen sei und welche Redemittel und Wörter er für welches Niveau verwenden müsse. „Diese Prompts zu schreiben, ist etwas aufwendig“, so Drygala de Oliveira. „Doch wenn ich sie schreibe, muss nicht jede einzelne Lehrkraft die Zeit investieren.“ Die Lehrkräfte können die fertigen Prompts verwenden und ändern sie gegebenenfalls ein wenig ab. Als Material für die Lesetexte in den Übungstests dienen die Sternchentexte von PASCH-net, die ohnehin zur Prüfungsvorbereitung gedacht sind. Die Lehrkräfte müssen dann nur den Link zu einem der Texte in den Prompt von Kathrin Drygala de Oliveira einfügen und bekommen eine DSD-Version des Textes samt passender Aufgaben.
Sie geben auch Kurse für Schülerinnen und Schüler. In einem haben sie die Jugendlichen mithilfe von KI Bilder erstellen lassen. Warum Bilder?
Ein anderes KI-Werkzeug, das Sie Schülerinnen und Schülern zeigen, ist DeepL Write. Wie ein Übersetzer aber eben mit Deutsch auf beiden Seiten. Was ist gut daran?
Das Tool ist aber auch gut, um an sprachlichen Fehlern zu arbeiten. Warum?
Dies sind nur ein paar Beispiele, wie KI und ganz besonders texterstellende Instrumente jetzt schon im Unterricht eingesetzt werden. In nächster Zeit werden viele weitere hinzukommen. Manuel Flick merkt bei seinen Vorträgen und Workshops, „dass viele Schulen das Thema sehr engagiert und sehr konstruktiv angehen“. Das stimme ihn optimistisch. „Gleichzeitig bringt KI natürlich unglaublich viel Veränderung mit sich und das in einer Geschwindigkeit, die ihresgleichen sucht“, sagt er. „Viele unterschätzen noch, wie stark KI Schule und Bildung langfristig verändern wird.“ Er sehe künstliche Intelligenz als eine große Chance für den Bildungsbereich: „Eine, die wir jetzt auch wahrnehmen sollten.“